Stellungnahme der Fakultät zur geplanten Digitalen Grundbildung
Kurzfassung Stellungnahme
Kurzfassung der Stellungnahme der Fakultät für Informatik zum Begutachtungsentwurf „Änderung der Verordnung über die Lehrpläne der Mittelschulen sowie die Verordnung über die Lehrpläne der allgemeinbildenden höheren Schulen“ vom 06. April 2022.
Die DGB soll zusammen mit der Geräteinitiative allen Schüler*innen der Sekundarunterstufe eine Auseinandersetzung mit der digitalen Welt ermöglichen und dies in einen allgemeinbildenden und kompetenzorientierten Horizont einbetten. Das ist eine pädagogische Stoßrichtung, die grundsätzlich sehr zu begrüßen ist.
Die im aktuellen Entwurf angestrebte Ausrichtung auf „Medienbildung“, „informatische Bildung“ und „Gestaltungskompetenz“ stellt eine starke Überfrachtung für das 1-stündig geplante Schulfach dar. Damit ist der in der Sekundarunterstufe verankerte Gegenstand prädestiniert, entweder stark verkürzt umgesetzt – und damit keinem seiner Ziele gerecht zu werden – oder die Schüler*innen in ihren heterogenen Voraussetzungen zu überfordern.
Anwendungskompetenzen für das digitale Lernen sind im Entwurf zur DGB zwar angedacht, aber zu wenig auf die Digitalisierung des Unterrichts (in Präsenz oder online) im Zuge der Geräteinitiative fokussiert. Es ist ein Irrtum zu glauben, alle Schüler*innen könnten als „Digital Natives“ mit Geräten, Apps und Cloud-basierten Plattformen sicher umgehen.
Anwendungskompetenzen für die Geräteinitiative
Im Rahmen der DGB sollten primär Anwendungskompetenzen bei Schüler*innen aufgebaut werden, die das digitale Lernen unterstützen und gezielt über eine medienbildende Auseinandersetzung mit tagesaktuellen Freizeit-Apps des Social-Media-Bereichs hinausgehen (wie z.B. TikTok, Instagram, Snapchat, usw.). Die DGB sollte im Zuge der Geräteinitiative alle Schüler*innen darin schulen, die an der jeweiligen Schule ausgewählte digitale Infrastruktur (LernApps, LernPlattformen, Kursmanagmentsysteme, Vernetzung etc.) sowohl sicher zu beherrschen als auch zumindest in ihren Grundzügen zu verstehen.
Darauf aufbauend sollte eine altersentsprechende Vermittlung der Prinzipien des sicheren und rechtskonformen Umgangs mit eigenen Daten und den Daten Dritter (insbesondere im Kontext exterritorialer Cloud-Dienste), der individuellen Cybersicherheit (inkl. Zugriffsschutz, Gerätesicherheit, Umgang mit Spam / Phishing / Zero-Days / etc.) und Normen der digitalen Gesellschaft und des digitalen Unterrichts (inkl. Netiquette, Zitieren aus digitalen Quellen und Cyber-Mobbing) erfolgen.
- Die DGB sollte alle Schüler*innen für den digitalen Unterricht und das digitale Lernen, wie sie vor Ort an einer Schule im Zuge der Geräteinitiative aufgebaut und umgesetzt werden, qualifizieren.
- Informatische Grundlagen digitaler Lern-Apps und cloud-basierter Lern-Plattformen sollten spezifisch in der DGB thematisiert werden.
- Besonderes Augenmerk sollte auf Schüler*innen gelegt werden, die mit digitalem Lernen weder in ihrer Freizeit noch im häuslichen Umfeld in Berührung kommen.
Medienbildung und Medienkompetenzen im DGB-Entwurf
Medienbildung erfordert Fachwissen in einer Vielzahl an Themengebieten (z.B. Politik, Ethik, Recht, Publizistik, Informatik), um die Rahmenbedingungen der Medienproduktion und ihre Absichten, Medien-Sozialisationsprozesse oder medienkulturelle Phänomene sinnvoll verstehen und hinterfragen zu können. Die im Entwurf angedachten interdisziplinären Bezüge sind in vielerlei Hinsicht bereits bestehender Teil des Fächerkanons der Sekundarstufe (z.B. Geschichte und politische Bildung, Philosophie, Wirtschaftskunde, Umweltkunde). Diese würden durch eine interdisziplinäre Ausrichtung des Lehrplans der DGB gedoppelt bzw. für die Sekundarstufe II vorweggenommen.
- Medienbildung sollte integrativ in allen Fächern im Sekundarbereich verankert sein und hier insbesondere auf das digitale Lernen in den Fächern eingehen
- Alle Lehrkräfte des Sekundarbereichs sollten für die Medienbildung und das digitale Lernen in ihrem jeweiligen Unterrichtsfach qualifiziert werden
- Medienbildung ist nicht nur eine Aufgabe der Informatik/DGB-Lehrkräfte!
Informatische Bildung und Gestaltungskompetenzen
Informatische Bildung befähigt im Vergleich zur Medienpädagogik aktuelle und zukünftige Informationstechnologie (z.B. Big Data, Machine Learning, künstliche Intelligenz, Blockchain) in all ihren Facetten zu begreifen und so die eigentlichen Treiber der Digitalisierung und ihren Einfluss auf Gesellschaft und Individuum zu verstehen. Eine an der Informatik orientierte Allgemeinbildung zielt auf die Beleuchtung der zugrundeliegenden Funktionsmechanismen des Medialen ab, nicht nur auf dessen medienkulturellen Gebrauch.
Um beispielsweise nicht nur digitale Subkulturen, kulturelle Phänomene oder den Hype der Blockchain-Technologie (in Games, Kryptowährungen, NFTs usw.) im Unterricht zu diskutieren, sondern auch beurteilen zu lernen, welche Eigenschaften grundsätzlich mit ihnen verbunden sind, bedarf es eines Einblicks hinter die medialen „Kulissen“. Dafür ist eine informatische Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Technologien und Verfahren unbedingt notwendig. Die Schüler*innen können die medialen und technischen Eigenschaften digitaler Artefakte sowohl durch Analyse, wie im forschenden Lernen, aber auch gestalterisch, d.h. technisch-konstruierend und programmierend, sich erschließen (dies führt zur Gestaltungskompetenz, z.B. mit Physical Computing).
Genau das stellt das Alleinstellungsmerkmal informatischer Bildung dar, welches kein anderes Fach in der Schule abdecken kann und welches daher in der Sekundarstufe in allen Jahrgängen verankert werden sollte.
- Die DGB sollte erste Grundlagen für informatische Bildung legen und so Anschlussfähigkeit für die Sekundarstufe II gewährleisten
- Für eine kompetente Umsetzung der DGB benötigen Lehrkräfte eine fundierte, an Informatikgrundlagen und ihrer Didaktik orientierte Lehramtsausbildung
- Der Pflichtgegenstand Informatik in der AHS-Oberstufe (9. Klassenstufe) sollte bis zur 12. Klassenstufe fortgeführt werden, idealerweise im Umfang von 2-3 Schulstunden pro Woche.
Für weitere Fragen und Rücksprache steht Univ.-Prof. Maria Knobelsdorf, Didaktik der Informatik, und Univ.-Prof. Wilfried Gansterer, Dekan der Fakultät zur Verfügung.
Die gesamte Stellungnahme vom 4. Mai 2022 an Bundesminister Polaschek finden Sie hier.
Unterstützer*innen Stellungnahme
Fakultät für Informatik
- Univ.-Prof. Monika Henzinger, Theory and Applications of Algorithms
- Univ.-Prof. Wolfgang Klas, Multimedia Information Systems
- Ass.-Prof. Nils Kriege, Data Mining and Machine Learning
- Univ.-Prof. Maria Leitner, Workflow Systems and Technology
- Univ.-Prof. Torsten Möller, Visualization and Data Analysis
- ao. Univ.-Prof. Erich Neuwirth, CSLEARN - Educational Technologies
- Univ.-Prof. Peter Reichl, Cooperative Systems
- Ass.-Prof. Sebastian Tschiatschek, Data Mining and Machine Learning
- Univ.-Prof. Edgar Weippl, Security and Privacy
- Univ.-Prof. Uwe Zdun, Software Architecture
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
- Univ.-Prof. Karl Franz Dörner, Privatdoz., Institut für Business Decisions and Analytics
- Univ.-Prof. Jan Fabian Ehmke, Institut für Business Decisions and Analytics
- Univ.-Prof. Monika Gehrig-Merz, Institut für Volkswirtschaftslehre
- Univ.-Prof. Thomas P. Gehrig, Institut für Finazwissenschaft
- o. Univ.-Prof. Richard Hartl, Institut für Business Decisions and Analytics
- Univ.-Prof. Nikolaus Hautsch, Department of Statistics and Operations Research
- Univ.-Prof. Hannes Leeb, Institut für Statistik und Operations Research
- o. Univ.-Prof. Rudolf Vetschera, Institut für Business Decisions and Analytics
Fakultät für Sozialwissenschaften
- Univ.-Prof. Sylvia Kritzinger, Institut für Staatswissenschaft
- Univ.-Prof. Barbara Prainsack, Institut für Politikwissenschaft, Forschungsplattform "Governance of Digital Practices"
Fakultät für Rechtswissenschaften
- Univ.-Prof. Nikolaus Forgó, Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht
Fakultät für Lebenswissenschaften
- Univ.-Prof. Judith Rollinger, Department of Pharmaceutical Sciences
Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät
- Univ.-Prof. Tara Andrews, Institut für Geschichte, Digital Humanities
Fakultät für Mathematik
- Univ.-Prof. Ulisse Stefanelli, Institut für Mathematik
Stellungnahme im Original
Wien, 4. Mai 2022
Geschäftszahl: 2022-0.070.246 / Stellungnahme der Fakultät für Informatik zum Begutachtungsentwurf „Änderung der Verordnung über die Lehrpläne der Mittelschulen sowie die Verordnung über die Lehrpläne der allgemeinbildenden höheren Schulen“ vom 06. April 2022.
Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir begrüßen die geplante Einführung des Pflichtgegenstands „digitale Grundbildung“ in der Sekundarstufe I und erlauben uns zum aktuell vorliegenden Lehrplan-Entwurf aus Sicht der Informatik und ihrer Fachdidaktik an der Universität Wien eine Stellungnahme abzugeben.
Die Fakultät für Informatik verantwortet im Verbund Nordost das Unterrichtsfach Informatik für die allgemeinbildende Sekundarstufe im Lehramtsstudium der Universität Wien. Unsere Absolvent*innen unterrichten an den MS, AHS und BMHS den Gegenstand Informatik und die bisherige verbindliche Übung „digitale Grundbildung“. In der fachlichen, fachdidaktischen und pädagogischen Ausbildung, die wir gemeinsam im Verbund leisten, werden unsere Lehrkräfte darauf vorbereitet, einen an der informatischen Bildung orientierten allgemeinbildenden Informatikunterricht zu planen und umzusetzen. Dieser Unterricht befähigt Schüler*innen, informiert, souverän und verantwortlich mit Medien und Technik zu agieren. Er trägt dazu bei, Schüler*innen zu demokratischen und mündigen Gestalter*innen der digitalen Welt heranzubilden.
Wir befürworten daher grundsätzlich die pädagogische Stoßrichtung des vorliegenden Entwurfs einer digitalen Grundbildung (DGB), die Schüler*innen eine Auseinandersetzung mit digitalen Artefakten und digitaler Transformation ermöglicht und diese in einen allgemeinbildenden und kompetenzorientierten Horizont einbettet.
Die im aktuellen Entwurf angestrebte dreigleisige Förderung von „Medienkompetenz, Anwendungskompetenzen und informatischen Kompetenzen“ und die Ausrichtung auf „Medienbildung“, „informatische Bildung“ und „Gestaltungskompetenz“ gleichermaßen stellt unserer Meinung nach eine starke Überfrachtung für das 1-stündig geplante Schulfach dar. Damit ist der in der Sekundarunterstufe verankerte Gegenstand prädestiniert, entweder stark verkürzt umgesetzt und damit keinem seiner Ziele gerecht zu werden oder die Schüler*innen in ihren heterogenen Voraussetzungen und Möglichkeiten zu überfordern.
Die starke Fokussierung des Kompetenzmodells auf die Medienbildung als tragende Säule der DGB, ergänzt um anwendungsorientierte und an der Informatik angelehnte Fachkompetenzen, ist darüber hinaus im Sinne eines nachhaltigen Bildungsanspruchs verkürzt gedacht. Wir wollen unsere Kritikpunkte im Folgenden ausführen und Vorschläge für eine alternative Ausrichtung der DGB geben.
Medienbildung und Medienkompetenzen im DGB-Entwurf
Die im Entwurf als Medienbildung angedachte Reflexion und individuelle Bewertung von Medienkulturen, der eigenen Medienbiografie, von Medien-Sozialisationsprozessen, Praktiken sowie Medienkonstellationen scheinen kaum vorstellbar ohne Bezug zu einem spezifischen Kontext. Erst die Kontextualisierung erlaubt es Schüler*innen die mediale (d.h. vermittelnde, transformierende) Wirkung zu erfahren und nachzuvollziehen. Im aktuellen Entwurf werden dementsprechend viele Bezüge zu unterschiedlichsten, teils stark interdisziplinären und gesellschaftsrelevanten Themengebieten hergestellt.
Die im Kompetenzmodell verankerte kritische Analyse von „Interessen und Bedingungen der Medienproduktion und der Veröffentlichung sowie des Medienkonsums“ oder das Aufzeigen „inwieweit das Digitale im Vergleich zum Analogen das eigene Leben, die Gesellschaft oder Umwelt verändert“ sind jedoch kaum vorstellbar, ohne ein Mindestmaß an Grundlagenwissen in z.B. Politik, Ethik, Recht, Publizistik oder Informatik zu besitzen. Da hierfür zunächst spezifische Fachkompetenzen aufgebaut werden müssen, würden diese den 1-stündig geplante Lehrplan mit externen Inhalten und Kompetenzen überfordern – selbst bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten der didaktischen Reduktion. Ferner sind die angedachten thematischen Bezüge in vielerlei Hinsicht bereits bestehender Teil des Fächerkanons der Sekundarstufe (z.B. Geschichte und politische Bildung, Philosophie, Wirtschaftskunde, Umweltkunde). Diese würden durch den Lehrplan der DGB gedoppelt bzw. für die Sekundarstufe II vorweggenommen.
Eine breite inhaltliche Verankerung der Medienbildung würde überdies auch eine entsprechend interdisziplinäre Qualifikation der Lehrkräfte verlangen. Diese interdisziplinäre Qualifikation liefe ohne etablierte fachliche Bezugsdisziplin jedoch Gefahr, in eine eklektische Aneinanderreihung von Themengebieten abzudriften. Wir halten es daher für zielführender, eine kritische und gestaltungsorientierte Medienbildung in den bestehenden Schulfächern der allgemeinbildenden Sekundarstufe stärker zu integrieren.
Erst die Kontextualisierung innerhalb bestehender Schulfächer ermöglicht eine fundierte Auseinandersetzung mit ausgewählten medienpädagogischen Fragestellungen. Diese kann dann auch mit gesellschaftlich relevanten Themen verknüpft werden (z.B. Digital Gap, Cybermobbing, Klimawandel). Deshalb sprechen wir uns dafür aus, Medienbildung und Mediendidaktik in allen Lehramtsstudiengängen zu integrieren. Medienbildung sollte keinesfalls nur Aufgabe der Lehrkräfte für DGB und Informatik sein!
Ausrichtung der DGB an informatischer Bildung und Gestaltungskompetenzen
Die Schule stellt einen Ort der Sozialisation dar, an dem heranwachsende Schüler*innen an demokratische Grundwerte, gesellschaftliche Gepflogenheiten und essentielle Kulturtechniken herangeführt, sowie in fachlichen Kompetenzen und zukunftsrelevanten Fähigkeiten im Rahmen des Fächerkanons qualifiziert werden. Schule eröffnet aber auch einen wertvollen diskursiven Raum, der Schüler*innen die Gelegenheit bietet, bestehende gesamtgesellschaftliche Themen, aktuelle Entwicklungen und epochale Problemstellungen im Kontext eines Schulfaches gemeinschaftlich zu reflektieren und zu hinterfragen. Informatische Bildung, dem Primat der Allgemeinbildung verpflichtet, leistet hierzu einen wichtigen Beitrag.
Eine in diesem Kontext verstandene informatische Bildung befähigt dazu, digitale Artefakte in ihrem medialen und software-technischen Zusammenwirken gleichermaßen zu begreifen und zu erfahren. Die Schüler*innen können die medialen und technischen Eigenschaften digitaler Artefakte sowohl durch Analyse, wie im forschenden Lernen, aber auch gestalterisch, d.h. technisch-konstruierend und programmierend, erschließen und begreifen (Gestaltungskompetenz, z.B. Physical Computing). Genau das stellt das Alleinstellungsmerkmal informatischer Bildung dar, welches kein anderes Fach in der Schule abdecken kann.
Wir begrüßen daher die entsprechende Ausrichtung an informatischer Bildung und ihren Gestaltungskompetenzen im Entwurf der DGB. Wir möchten jedoch dafür plädieren, diese Orientierung in der DGB zentral zu setzen.
Der allgemeinbildende Anspruch einer informatischen Bildung verschränkt fachliche Kompetenzen mit Reflexion und Bewertung der informatischen und medialen Facetten der Digitalisierung. Technologien und Software in Bereichen der künstlichen Intelligenz, Machine Learning oder Big Data, die in digitalen Artefakten oft versteckt agieren, basieren auf informatischen Erkenntnissen und Verfahren, die das Einsatzgebiet ihrer sinnvollen Anwendung bereits theoretisch und technisch begrenzen.
Der informatische Allgemeinbildungsanspruch zielt, im Unterschied zum medienpädagogischen, auch auf die Beleuchtung der dem Medialen zugrundeliegenden substanziellen Funktionsmechanismen, nicht nur auf dessen medienkulturellen Gebrauch. Um beispielsweise nicht nur propagierte Zwecke, digitale Subkulturen, kulturelle Phänomene oder den Hype der Blockchain-Technologie (in Games, Kryptowährungen, NFTs usw.) im Unterricht zu diskutieren, sondern auch beurteilen zu lernen, welche Eigenschaften grundsätzlich mit ihnen verbunden sind, bedarf es eines Einblicks hinter die medialen „Kulissen“. Dafür ist eine informatische Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Technologien und Verfahren unbedingt notwendig. So zum Beispiel, um abschätzen zu können, ...
- ...unter welchen Umständen „Consensus Mechanisms“ wie „Proof of Work“ oder „Proof of Stake“ flache Hierarchien oder demokratische Prozesse abbilden bzw. stützen können und wann sie lediglich das Recht des Stärkeren bedienen
- ...inwiefern Kryptowährungen aufgrund dezentralisierter Datenspeicherung und ressourcen-intensiver Transaktionsprozesse als Zahlungsmittel oder für andere Zwecke geeignet erscheinen
- ...inwiefern oder worauf Non Fungible Tokens (NFT) Einzigartigkeit beanspruchen können, welche Daten (und Programme) dabei wie in der Blockchain abgebildet und welche extern gespeichert werden
- ...welche Aspekte der Privatsphäre innerhalb der Blockchain gewahrt, und welche preisgegeben werden bzw. welche Formen der Transparenz die Technologie ermöglicht. Das ist gerade dann besonders relevant, wenn angedacht wird, zukünftig sensible Daten wie Personalausweise oder Gesundheitsakten mit dieser Technologie zu verwalten
Ein mündiges Urteil in Bezug auf den Einsatz digitaler Technologien zu fällen, das individuelle Präferenzen und allgemeine Abwägungen einschließt, erscheint nur dann plausibel, wenn informatische Konzepte verschiedener Netzwerkarchitekturen (z.B. Peer-to-Peer), der technischen Grundlagen, der Kryptographie, verteilter Datensysteme, der Formalisierung, Modellierung, der Möglichkeiten und Grenzen der Berechenbarkeit und des Programmierens zumindest in Grundzügen bekannt sind.
Sind Schüler*innen mit diesen informatischen Grundlagen vertraut, so können sie nicht nur mit aktuellen, sondern vor allem auch mit zukünftigen digitalen Artefakten und Technologien und ihrer medialen Verfasstheit einen potentiell verantwortungsvollen und selbstbestimmten Umgang pflegen.
Durch Konfrontation mit diesen Themengebieten der Informatik werden Schüler*innen in die Lage versetzt, die Funktionsweise digitaler Artefakte und ihrer medialen Wirkung im Anwendungskontext zu erleben und zu verstehen. Dies unterstützt das informatische Reflexionsniveau und ermutigt, durch erworbene Fachkompetenzen, die insbesondere auch berufsqualifizierend wirken, Partizipationsmöglichkeiten in der digitalen Welt wahrzunehmen. Dieser Aspekt erhält zusätzliche Relevanz im Hinblick auf die – nach wie vor – schwache Repräsentanz von Mädchen und Frauen in allen Bereichen der Informatik. Hierbei handelt es sich um ein wohlbekanntes Problem im Wahlpflichtgegenstand der AHS-Oberstufe und bei BMHS mit Informatikschwerpunkt. Entsprechend fundiert und früh zu bilden und zu qualifizieren wirkt auch dieser Gender-Inequality Problematik entgegen. Es wäre daher gesamtgesellschaftlich sehr wünschenswert, wenn die DGB ein erstes Fundament für informatische Gestaltungskompetenzen legen kann, ohne den vorgesehenen Rahmen zu sprengen.
Alle genannten Punkte bilden zentrale Aufgaben eines allgemeinbildenden Informatikunterrichts der Sekundarstufe, auf den die DGB propädeutisch und altersentsprechend vorbereiten sollte. Daher sollte DGB von Informatik-Lehrkräften unterrichtet werden und in das Lehramtsstudium des Unterrichtsfachs Informatik integriert werden. Wie sprechen uns auch ausdrücklich dafür aus, entsprechende im Verbund zusätzlich angesiedelte Fortbildungsmaßnahmen von bestehenden Lehrkräften (z.B. im Rahmen des Erweiterungsstudiums) bereitzustellen.
Anwendungskompetenzen für die Geräteinitiative
Anwendungskompetenzen zu schulen ist wichtig, weil sich das Digitale für Schüler*innen in erster Instanz in der Anwendung und Nutzung digitaler Artefakte erschließt. Insbesondere Anwendungskompetenzen zur effektiven und nachhaltigen Nutzung der Geräte sowie für das Lernen inner- und außerhalb des Unterrichts (in Präsenz oder online/digital), sind besonders relevant und bei vielen Schüler*innen der Sekundarunterstufe nicht selbstverständlich voraussetzbar. Die Inkludierung dieser Anwendungskompetenzen in der DGB scheint im aktuellen Entwurf angedacht, ist jedoch nur implizit verankert. Die Anwendungskompetenzen wirken bei den konkreten Kompetenzdefinitionen zudem nicht immer spezifisch auf digitales Lernen bezogen.
Im Hinblick auf die Digitalisierung des Bildungsbereichs und die damit einhergehenden Herausforderungen, die der Online-Unterricht im Rahmen der Pandemie offen gelegt hat, empfehlen wir dringend, entsprechende Anwendungskompetenzen bei Schüler*innen aufzubauen, die über eine medienbildende Auseinandersetzung mit tagesaktuellen Freizeit-Apps des Social Media Bereichs (wie z.B. TikTok, Instagram, Snapchat, usw.) hinausgehen. Die DGB sollte (im Zuge der Geräteinitiative) alle Schüler*innen in jenen Anwendungskompetenzen schulen, die die Benutzung der digitalen Lernumgebungen und Infrastruktur in der jeweiligen Schule ermöglichen.
Vor Ort favorisierte Lern- und Kommunikations-Apps sollten im jeweiligen Fachunterricht eingesetzt und ihre Anwendung im Detail vertieft werden, z.B.:
- Geographische Informationssysteme in Erd- und Wirtschaftskunde
- eGovernment, eVoting, Social Media in Geschichte und Politische Bildung
- Sprachlern-Apps im Fremdsprachenunterricht
- Excel, Geogebra und Simulationsprogramme in Mathematik und Naturwissenschaften
- Health-Care Apps in Biologie
In der DGB hingegen sollten die Schüler*innen mit den Geräten und den von der Schule ausgewählten digitalen Lehr-Lern-Umgebungen vertraut gemacht werden. Die damit einhergehenden informatischen Grundlagen des digitalen Lernens, die alle aktuellen Lern-Apps, Lern-Plattformen und digitalen Umgebungen gemeinsam haben, sollten spezifisch in der DGB selbst thematisiert werden. Besonderes Augenmerk kann dabei auf jene Schüler*innen gelegt werden, die mit digitalem Lernen weder in ihrer Freizeit noch im häuslichen Umfeld in Berührung kommen.
Darauf aufbauend sollte eine altersentsprechende Vermittlung der Prinzipien des sicheren und rechtskonformen Umgangs mit eigenen Daten und den Daten Dritter (insbesondere im Kontext exterritorialer Cloud-Dienste), der individuellen Cybersicherheit (inkl. Zugriffsschutz, Gerätesicherheit, Umgang mit Spam / Phishing / Zero-Days / etc.) und Normen der digitalen Gesellschaft und des digitalen Unterrichts (inkl. Netiquette, Zitieren aus digitalen Quellen und Cyber-Mobbing) erfolgen.
Zusammenfassung
1.
Der aktuelle Entwurf der digitalen Grundbildung orientiert sich überwiegend am Konzept der Medienbildung als politische Bildung. Informatik und die Reflexion von Informationstechnologie (z.B. Big Data, Machine Learning, künstliche Intelligenz, Blockchain), die die eigentlichen Treiber der Digitalisierung sind und somit maßgeblichen Einfluss auf Gesellschaft und Individuum nehmen, werden dadurch marginalisiert.
Vorschläge:
- DGB sollte sich primär an informatischer Bildung unter dem Primat der Allgemeinbildung orientieren.
- Den informatischen Grundkompetenzen des aktuellen Entwurfs sollte mehr Gewicht und Raum im Gesamtkonzept beigemessen werden.
- DGB sollte in der grundständigen Lehramtsausbildung in das Unterrichtsfachs Informatik für die allgemeinbildende Sekundarstufe integriert werden.
2.
Medienbildung erfordert Fachwissen in einer Vielzahl an Themengebieten (z.B. Politik, Ethik, Recht, Publizistik, Informatik), um die Rahmenbedingungen der Medienproduktion und ihre Absichten, Medien-Sozialisationsprozesse oder medienkulturelle Phänomene sinnvoll verstehen, gestalten und hinterfragen zu können.
Vorschlag:
- Medienbildung sollte daher integrativ in allen Gegenständen verankert sein und die Lehramtsausbildung entsprechend alle Lehrkräfte des Sekundarbereichs dafür qualifizieren.
3.
Die Digitalisierung des Unterrichts im Zuge der Geräteinitiative muss Schüler*innen auf die neuen digitalen Lernumgebungen vorbereiten. Es ist ein Irrtum zu glauben, alle Schüler*innen könnten als „Digital Natives“ mit Geräten, Apps und Programmen ohnehin umgehen.
Vorschlag:
- Zusätzlich sollte die DGB verstärkt für das digitale Lernen an Schulen vor Ort (im Zuge der Geräteinitiative) qualifizieren.
4.
Um die hochgesteckten Ziele der DGB zu gewährleisten, braucht es eine Vertiefung und Ausweitung informatischer Bildung samt fachlicher Kompetenzen, die über den 1-stündig geplanten Pflichtgegenstand in der Sekundarstufe I hinaus gehen.
Vorschlag:
- Der Pflichtgegenstand Informatik in der AHS-Oberstufe (9. Klassenstufe) sollte bis zur 12. Klassenstufe fortgeführt werden, idealerweise im Umfang von 2-3 Schulstunden pro Woche.
Für weitere Fragen und Rücksprache stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
Univ.-Prof. Wilfried Gansterer, Dekan, Fakultät für Informatik
Univ.-Prof. Renate Motschnig, Vizedekanin für Lehre, Fakultät für Informatik
Univ.-Prof. Claudia Plant, Vizedekanin, Fakultät für Informatik
Ass.-Prof. Martin Polaschek, Studienprogrammleiter Informatik und Wirtschaftsinformatik
Univ.-Prof. Maria Knobelsdorf, Didaktik der Informatik, Fakultät für Informatik und Zentrum für Lehrer*innen Bildung