Zielsetzungen
Die Informatik hat sich als Wissenschaftsdisziplin in der jüngsten Vergangenheit enorm rasch weiterentwickelt, und insbesondere ihre Auswirkungen und Nutzungsmöglichkeiten haben sich drastisch erweitert. Inhalte und Methoden der Informatik beeinflussen mittlerweile nicht nur praktisch alle anderen Wissenschaftsdisziplinen, ihre Anwendungen haben auch vielfältigste Auswirkungen auf die Gesellschaft und auf alle Lebensbereiche. Durch diese Entwicklung der Informatik von einer ursprünglich vor allem technisch-ingenieurwissenschaftlich geprägten Wissenschaftsdisziplin zu einer Disziplin mit einem sehr breiten Spektrum von methodischen Ansätzen sowie zahlreichen Anwendungen und Auswirkungen ergeben sich speziell im Kontext des weitreichenden Fächerspektrums der Universität Wien viele neue Verbindungen und Anknüpfungspunkte, die z. B. auch in die Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften oder Humanwissenschaften reichen. Die (potentiellen) Auswirkungen sogenannter „künstlicher Intelligenz“ (KI) beeinflussen praktisch alle Anwendungsbereiche digitaler Technologien ganz wesentlich. In der algorithmischen Methodik und in den Technologien, die der KI zugrunde liegen, spielt die Informatik die führende Rolle.
Die Fakultät für Informatik der Universität Wien hat in den letzten Jahren gezielt daran gearbeitet, die mit diesen Entwicklungen verbundenen Chancen zu identifizieren und zu nutzen. Insbesondere hat die Fakultät darauf fokussiert, ein inhaltliches Profil, Sichtbarkeit und kritische Masse in vier Bereichen aufzubauen, nämlich in ihren fakultären Forschungsschwerpunkten Algorithms, Data Science, Systems und Human-Centered Computing. Um darüber hinaus die notwendige enge Verbindung zwischen dem rasanten methodischen und konzeptionellen Fortschritt im Bereich KI einerseits und den Anwendungen der KI in allen Wissenschaftsbereichen der Universität Wien andererseits zu unterstützen, nimmt die Fakultät für Informatik ihre Verantwortung wahr, mit ihrer Expertise als Ansprech-, Diskussions- und Kooperationspartnerin in allen Fragen zur Verfügung zu stehen, die im Themenbereich KI im Rahmen von Forschung, Lehre und Third Mission an der Universität Wien auftreten. In der nächsten Entwicklungsphase soll diese erfolgreiche Entwicklung gezielt weitergeführt werden.
Grundlagenforschung und angewandte Forschung sollen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Technologietransferaktivitäten sollen zur nachhaltigen Wirkung der Forschungsaktivitäten beitragen.
Disziplinäre Stärke (und die daraus resultierende Sichtbarkeit) sind notwendige Voraussetzungen für eine weitere Zielsetzung der Fakultät für Informatik: Interdisziplinäre Kooperationen im 15. Dezember 2023 Seite 114 von 204 Kontext der Universität Wien sollen gezielt aufgebaut und weiterentwickelt werden. Durch sorgfältig konzipierte Kooperationen mit Anwendungsbereichen von digitalen Technologien leisten auch die wichtigen grundlagenorientierten Komponenten der Informatik essentielle Beiträge zur Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen unserer Zeit. Konkret soll – ausgehend von den vorhandenen Stärken der Fakultät für Informatik – in der nächsten Entwicklungsphase der Fokus der Fakultät vor allem auf potentielle Möglichkeiten zur Stärkung interdisziplinärer Kooperationen und Forschungsaktivitäten in drei Richtungen gelegt werden:
- mit den Bio- und Lebenswissenschaften (ausgehend von der Expertise in den fakultären Forschungsschwerpunkten Algorithms und Data Science, z. B. in den Bereichen Bioinformatik, Neuroinformatik und Computational Drug Design),
- mit den Wirtschaftswissenschaften (ausgehend von der Expertise in den fakultären Forschungsschwerpunkten Systems und Data Science, z. B. in den Bereichen Wirtschaftsinformatik und Security) und
- mit den Sozial- und Geisteswissenschaften (ausgehend von der Expertise in den fakultären Forschungsschwerpunkten Human-Centered Computing und Data Science).
Forschungsschwerpunkte
Algorithms
Der fakultäre Forschungsschwerpunkt Algorithms beschäftigt sich mit Entwicklung, Analyse und Verbesserungen von Algorithmen. Es werden verschiedene Arten von Fragestellungen untersucht, insbesondere auch weitverbreitete algorithmische Fragestellungen zu Netzwerken, welche häufig als Graphen modelliert werden können, sowie algorithmische Grundlagen des maschinellen Lernens und damit der KI. Fragestellungen im Bereich Netzwerke haben zentrale Bedeutung in vielfältigen Anwendungsbereichen, wie beispielsweise in sozialen Netzwerken, in Kommunikationsnetzwerken, welche das Rückgrat unserer digitalen Gesellschaft bilden, oder auch in Cloud-Datenzentren und Supercomputern, die mittlerweile Millionen von Prozessoren innerhalb eines Systems umfassen. In allen Bereichen sind neuartige Algorithmen erforderlich, die hohe Effizienz- und Skalierbarkeitsanforderungen erfüllen: Durch die große Beliebtheit von datenzentrischen Anwendungen (in den Bereichen Health, Business, Social Networking, etc. sowie natürlich auch in der KI) wächst der Datenverkehr explosionsartig, sodass viele Netzwerke bald an Kapazitätsgrenzen stoßen. Energieeffizienz und Sustainability werden ebenfalls auf der algorithmischen Ebene beeinflusst und stellen daher einen weiteren wesentlichen Forschungsaspekt dar.
Viele der Fragestellungen im Bereich großer Netzwerke erfordern die Lösung von algorithmischen Problemen auf Graphen. Effiziente Graphalgorithmen werden in diesem Forschungsschwerpunkt entwickelt, theoretisch analysiert und auch empirisch evaluiert. Die Forschungsaktivitäten umfassen auch dynamische, verteilte und parallele sowie numerische Algorithmen. Eng damit zusammenhängende Forschungsaktivitäten, in denen es starke Verbindungen zum Forschungsschwerpunkt Data Science der Fakultät gibt, beschäftigen sich mit Fragestellungen zu algorithmischen Bausteinen der KI (wie neuronalen Netzen) und mit Algorithmen zur Wissensgewinnung aus sozialen Netzwerken. Graph-basierte Abstraktionen dienen auch als Grundlage für Algorithmen und Programmierung zukünftiger Computerarchitekturen, die einerseits hochgradig parallel, andererseits aus Gründen der Energieeffizienz zunehmend heterogen sind. Task-basierte Laufzeitsysteme ermöglichen es, komplexe skalierbare und adaptive Algorithmen, die die Basis für rechen- und datenintensive Applikationen sind, als dynamische Graphen zu repräsentieren. Diese Technologien spielen für die Entwicklung einer neuen Generation von parallelen Programmiermodellen eine wichtige Rolle.
Data Science
Data Science beschäftigt sich mit der Gewinnung von Wissen aus Daten. Durch die digitale Transformation benötigen mittlerweile fast alle Wissenschaftsbereiche Data Science-Methoden. Datengetriebene Forschung ist zudem in zahlreichen Wissenschaftsbereichen von zentraler Bedeutung. Beispielsweise in Bio- und Lebenswissenschaften oder in der Pharmazie, aber auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften basieren neue Erkenntnisse zunehmend auf Data Science-Methoden. Gleichzeitig inspirieren Fragestellungen aus anderen Wissenschaftsbereichen die Entwicklung von neuen Data Science-Methoden. Data Science ist in seiner breitesten Interpretation ein interdisziplinäres Forschungsgebiet und hat eine inhärente Brückenfunktion, weil intensive Zusammenarbeit von Methodenentwickler*innen und Anwender*innen erforderlich ist. An der Universität Wien gibt es vielfältige interdisziplinäre Forschungsaktivitäten in diesem Bereich. Die Fakultät für Informatik betreibt Informatikforschung in zentralen methodischen Komponenten der Data Science, ist führend an den interdisziplinären Aktivitäten beteiligt und bringt dort Informatik-Expertise ein.
Da Datenbestände ständig sehr schnell wachsen, sind Informatikmethoden zur Wissensgewinnung aus Daten unverzichtbare Pfeiler der Data Science-Forschung. Die Forschungsfragestellungen betrachten den gesamten Prozess der Wissensgewinnung aus Daten: Methoden aus der Datenbankforschung zur effizienten Speicherung, Repräsentierung, Organisation und Ähnlichkeitssuche auf sehr großen Datenbeständen; Data Mining-Methoden zum Finden von Trends und Mustern; Machine Learning- und KI-Methoden zur Vorhersage von Zusammenhängen (wobei insbesondere Interpretable Machine Learning und Robust Machine Learning von Interesse sind) sowie Visualisierungsmethoden zum Verständnis von Daten und Modellen. Es bestehen Verbindungen zu algorithmisch-methodischen Komponenten der Computational Science, wo klassische ab-initio-Modelle immer stärker durch datenbasierte Modelle ergänzt werden und daher der Einsatz von Machine Learning-Methoden ebenfalls große Bedeutung gewonnen hat.
Data Science ist ein aufstrebendes Forschungsgebiet, da in nahezu allen Wissensbereichen immer mehr Daten gewonnen und digital verfügbar gemacht werden können und da sich die Computing-Infrastruktur über die letzten Jahrzehnte rasant weiterentwickelt hat. Die stetige Weiterentwicklung und Diversität der Computing-Infrastruktur erfordert aber auch ein permanentes Weiterentwickeln von Algorithmen, Laufzeitsystemen sowie von Tools und Software, um die ambitionierten Zielsetzungen der Data Science auch erreichen zu können. Daher bestehen enge Verbindungen zu den Aktivitäten im fakultären Forschungsschwerpunkt Algorithms, z. B. in den Bereichen Robustheit und Skalierbarkeit von numerischen Algorithmen, Methoden zur Analyse neuronaler Daten, Text Mining oder Software und Middleware.
Systems
Dieser fakultäre Forschungsschwerpunkt basiert auf der Beobachtung, dass die reale und digitale Welt künftig zunehmend konvergieren werden. Der Fokus liegt in diesem Kontext primär auf Systemen, die in diesem Transformationsprozess benötigt werden. Eine Herausforderung dabei ist es, Methoden und Verfahren über das Wissen in intelligenten Systemen und Wissen über intelligente Systeme unter Berücksichtigung neuer Ansätze zu erforschen und zu entwickeln.
Daraus ergeben sich unter anderem folgende Forschungsfragen: Wie können Systeme entsprechend einem „Gestaltungsorientierten Ansatz“ entworfen und modelliert werden, sodass neue Architekturen in einem disruptiven Umfeld entstehen (Sustainability)? Wie ist domain-spezifisches Wissen zu formalisieren und wie kann dadurch eine Repräsentation „machine-understandable“ (operationalisierbar, intelligent) werden? Wie ist das Verhalten dieser intelligenten Systeme nachvollziehbar zu gestalten (Explainability)? Wie können in diesem Kontext Security und Privacy gewährleistet werden (Secure Systems)? Wie kann man mit den Herausforderungen der immer größer werdenden Verteilung von Informationssystemen umgehen (Distributed Systems)?
Die Komplexität und Vielfalt der Themen, die durch die Digitalisierung im allgemeinen und durch die KI im speziellen entstehen, wird nicht nur durch entsprechend positionierte Forschungsansätze adressiert, sondern auch durch einen gestaltungsorientierten Ansatz, der disruptive Technologien mitbetrachtet. Die genannten Forschungsfragen sind von zentraler Bedeutung sowohl für den Kern der Informatik als auch wesentlicher Bestandteil einer modernen, system- und gestaltungsorientierten Wirtschaftsinformatik, wie sie in der Fakultät für Informatik beheimatet ist.
Der fakultäre Forschungsschwerpunkt Systems umfasst Forschung an und die Entwicklung von Ansätzen, Methoden und Werkzeugen für Themengebiete wie Cloud Computing, Flexible and Distributed Processes, Parallel Computing, konzeptuelle Modellierung, Intelligent and Agile Agents, DevOps, Semantic Technologies, Internet der Zukunft, sichere & service-orientierte Systeme, Kooperative Systeme, IT-Infrastruktur für Industrie 4.0, Cyber-Physical Systems (CPS), Internet of Things oder Information Security Management Systems sowie Blockchain-Systeme.
Human-Centered Computing
Human-Centered Computing stellt den Menschen und seine vielfältigen Bedürfnisse und Bestrebungen in den Mittelpunkt der Forschung und umfasst sowohl die theoretische als auch die experimentelle Entwicklung von Mensch-Computer-Systemen, Schnittstellen, Modellen und Interaktionsprozessen. Human-Centered Computing ist ein inhärent disziplinenübergreifender Bereich, der in viele andere Disziplinen hineinwirkt, insbesondere auch in die Sozial- und Geisteswissenschaften, sich aber auch im Rahmen des Digitalen Humanismus mit politischen, ethischen und ästhetischen Fragestellungen der Digitalisierung auseinandersetzt. Gerade wegen der aktuell rasanten technologischen Fortschritte im Bereich KI gewinnt dieser Themenbereich als wichtige Ergänzung zu den Forschungsaktivitäten in den anderen drei Forschungsschwerpunkten der Fakultät besonders an Bedeutung. Auch die Verbindung zur Bildungswissenschaft und zu schulischer Bildung spielt durch die Auswirkungen der KI im Bereich Bildung und Didaktik eine besondere Rolle.
Der entsprechende Forschungsschwerpunkt der Fakultät für Informatik fokussiert auf die Informatikaspekte des Human-Centered Computing und auf die daraus entstehenden Verbindungen in andere Disziplinen. Im Zentrum der Forschungsaktivitäten steht die Vision, durch Human-Centered Computing zur Erhöhung von Lebensqualität, sozialer Inklusion, Effektivität wie auch persönlicher Erfüllung und Sinnstiftung für den einzelnen wie auch für die Gesellschaft beizutragen und den „Digital Gap“ zu verringern. Mitglieder der Fakultät beschäftigen sich mit dem Human-Centered Design von Mensch-Computer-Schnittstellen, Assistive Communication Devices, Brain-Computer Interfaces, Technologien und Systemen zur Inklusion und Befähigung von Menschen mit Beeinträchtigung, mit der Verbesserung von User-Experience zur Erhöhung der Akzeptanz von Anwendungen sowie mit Fragen des wertebasierten Einsatzes und der nachhaltigen Weiterentwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien.
Neben dem Fokus auf die Gestaltung der Schnittstellen zwischen Mensch und Computer erforscht die Fakultät für Informatik in mehreren, teilweise auch interdisziplinär aufgesetzten Initiativen, Technologien, die den Menschen beim Lernen, Entscheiden, Arbeiten und bei der Verbesserung der Lebensqualität im digitalen Wandel unterstützen sollen. Dies erfolgt zum Beispiel durch die nachvollziehbare Erklärung und verständliche Visualisierung von AI-Modellen, durch die empirische Erforschung von Einflussfaktoren bei der Nutzung von Informationstechnologien, durch die Erweiterung und Verbesserung von menschlichen Lernvorgängen durch digital unterstützte Zugänge, sowie durch digitale Technologien zur Unterstützung von Kommunikation und Kooperation. Es bestehen enge Verbindungen zwischen dem Forschungsschwerpunkt Human-Centered Computing und dem Forschungsschwerpunkt Data Science im Bereich von Technologie- erweitertem Lernen sowie einer für Menschen verständlichen Visualisierung von Daten. Der Forschungsschwerpunkt Systems ist mit dem Forschungsschwerpunkt Human-Centered Computing durch den Forschungsansatz des Design Thinking inhärent verknüpft, um Mensch-zentrierte Systeme und Schnittstellen zu entwickeln. Weiters sind Sicherheit und die Wahrung der Privatsphäre essenzielle Charakteristika von Human-Centered Computing und daher eng mit den Sicherheitsanliegen im Forschungsschwerpunkt Systems im Bereich der Usable Security verknüpft. Es bestehen auch wichtige Verbindungen zwischen dem Forschungsschwerpunkt Human-Centered Computing und dem Forschungsbereich Computer Science Education (Didaktik der Informatik), der die Fachdisziplin Informatik im bildungswissenschaftlichen Kontext zum Gegenstand der Forschung hat, insbesondere durch Physical Computing, Gaming Education und Technology-enhanced Learning.